Die Karawanserei Daýahatyn

Nur wenige Touristen verschlägt es nach Turkmenistan, das vermutlich verschlossenste aller zentralasiatischen Länder. Und für all diejenigen, die doch dieses Wüstenland erkunden wollen, stehen in aller Regel die gleichen Sehenswürdigkeiten auf dem Programm wie die weiße Hauptstadt Aşgabat, der brennende Krater von Derweze oder die Reste der ehemaligen Oasengroßstadt Merw. Allerdings existieren auch abseits davon – für Ausländer leider schwer erreichbar – beeindruckende Bauwerke, die von der reichen Geschichte und Kultur Turkmenistans zeugen. Eines davon ist die sagenumwobene Karawanserei Daýahatyn, auch Baý-Hatyn („reiche Frau“) genannt.

Um dort hinzugelangen, muss man eine lange Fahrt in Kauf nehmen. Man fährt von der Provinzhauptstadt Türkmenabat ca. 180 km Richtung Nordwesten, immer am mächtigen Fluss Amudarja entlang, bis man schließlich die Asphaltstraße verlässt, um über eine Piste zum Bauwerk zu gelangen. Eine gewisse Ortskenntnis ist dabei vonnöten, denn leider zeigt kein Hinweisschild die Abzweigung an. Im Hintergrund erblickt man die fruchtbaren Flussbänke des Amudarja, jenseits davon die Berge Usbekistans und im Vordergrund die beeindruckende Karawanserei Daýahatyn.

Im 9. Jahrhundert unter der Herrschaft des Tahir ibn Husayn ursprünglich als Festung errichtet, diente Daýahatyn nach einem Umbau im 11. Jahrhundert als Karawanserei und bot Händlern und Reisenden Unterkunft und Schutz. Damals lag sie auf der wichtigen Karawanenroute zwischen Amul (heute Türkmenabat) und Choresmien. Aus Lehmziegeln errichtet hat sie einen für Karawansereien üblichen Innenhof, umgeben von vier 53 Meter langen Mauern mit einem Turm an jeder Ecke. Alle Innenräume sind mit Ziegeln eindrucksvoll dekoriert.

Ab dem 16. Jahrhundert geriet Daýahatyn in Vergessenheit, bis sich im 20. Jahrhundert wieder Archäologen dafür zu interessieren begannen; ist sie doch eine der am besten erhaltenen Karawansereien der Seidenstraße. Seit ein paar Jahren werden – auch durch finanzielle Unterstützung der US-Regierung – Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen durchgeführt.

Unter der lokalen Bevölkerung kursieren verschiedenen Legenden, die den Bau dieses beeindruckenden Gebäudes erklären sollen. Eine lautet wie folgt:

Eine reiche Frau und ein Mann aus einfachen Verhältnissen verlieben sich ineinander. Als Zeichen ihrer Liebe schenkt sie ihm einen schönen Ring. Doch das Glück währt nicht lang für die beiden und ein Krieg bricht aus. Der Mann wird zwangsverpflichtet und muss in den Kampf ziehen; und auch die Frau ist gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Nach Beendigung des Krieges beginnen sie, einander zu suchen. Doch die Jahre ziehen ins Land ohne eine Spur der jeweils anderen Person. Der reichen Frau kommt dann eines Tages eine Idee: Sie beschließt, einen Palast erbauen zu lassen; so groß und aufwendig gestaltet, dass möglichst viele Männer für die Bautätigkeiten engagiert werden müssen. Der Palast soll 40 prunkvolle Räume umfassen und die Wände sollen ohne Holz- oder Metallkonstruktionen errichtet werden. Stattdessen lässt die reiche Frau in der Oasenstadt Merw spezielle quadratische Ziegel herstellen, deren Herstellung aus Lehm, Eiern und Kamelmilch eine besondere Stabilität garantieren soll. Für den Transport dieser Ziegel nach Daýahatyn wird eine lange Schlange gebildet, in der die Ziegel von Mann zu Mann weitergereicht werden. Die reiche Frau reitet mit ihrem Pferd an diesem Arbeitstrupp entlang, in der Hoffnung ihren Geliebten zu finden. Und tatsächlich: Sie erkennt am Ring den Mann, von dem sie vor vielen Jahren durch das Schicksal getrennt wurde und mit dem sie nun wieder glücklich vereint ist.

Die reiche Frau stellt den Bau des Palastes ein und zieht mit ihrem Geliebten an einen anderen Ort, wo die beiden den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen. Und noch heute – so heißt es – finden Hirten zwischen Merw und Daýahatyn diese quadratischen Ziegel.

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